Samstag, 10. Juli 2010

Das Paradoxon vom Fliegen - Reisebericht Teil 1

Tag zwei in Lörrach. Nachdem ich von Donnerstag auf Freitag noch ein bisschen mit DT64 durch die Berliner Nacht gestreunert bin, gelandet auf der Afterparty der BBB und zum letzten Tanz im Golden Gate gewackelt habe, bin ich gegen fünfe dann zum Flughafen gestürzt. Stilecht wie eine Ebbe, hab ich dann auch fast meinen Flieger verpasst, weil Easyjet einfach mal der Chaosverein schlechthin ist. Mit dem sexy Geruchsmix aus Kippen, Alkohol, und Schweiß stand ich dann mit meinem Jutebeutel auf Higheels und einem völlig durchgewetzten Outfit in einer Reihe mit Familien auf dem letzten Checkin nach Basel. Verwirrt, habe ich dann auch noch mein Handgepäck als Gepäckstück abgegeben. Ach shit, was solls. Ein fetter Gähner, brachte mir das Lächeln meines Vordermanns ein. Völlig übermüdet, mustere ich den schätzungsweise Mittedreißiger mit Leinenhose, weißem Hemd in schicken Schuhen. Wo der wohl hin will? Er hatte mich schon davor mitbekommen, im Augenwinkel. Wahrscheinlich rieche ich sehr stark. Da, ein nächstes nicht enden wollendes Gähnen. Er grinst mich an, ich im Gähnen zurück und sage: "Sorry, ich hab noch nicht geschlafen...gefeiert. Ich habe gestern mein Studium beendet". Wir kommen ins Gespräch, so ganz zaghaft, er ist irgendwie schüchtern und fragt dennoch weiter. Wir sind genervt von den vielen Kindern, die um uns am Schalter herumspringen, ich setze meine Sonnenbrille auf, weil meine Schminke von der letzten Nacht verlaufen ist. Wir warten gemeinsam darauf endlich in den Flieger zu steigen. Auf dem Weg dahin, fragt er weiter, was ich so studiert habe, was ich in Berlin mache und jetzt in Basel will. Ich antworte und es ist mir nicht unangenehm, obwohl er irgendwie strange ist. Er ist unsicher. Irgendwie. Ich fühle das und gebe mich deshalb noch selbstbewusster. Beim Einstieg in den Flieger gehe ich vor und suche nach zwei Plätzen für uns. Ich will weiter mit ihm reden. An den Notausgängen sitze ich jetzt zwischen zwei Männern, rechts ein widerlicher Typ, der ebenfalls sofort beginnt mir ein Gespräch ans Knie zu nageln. Nach einer Weile merkt er, dass es mich nervt und zieht sich zurück.
Schulter an Schulter, zu dem Unbekannten geneigt, sitze ich distanzgemindert neben ihm. Das Flugzeug startet, ich werde mich wohl nie daran gewöhnen. Jedesmal finde ich es paradox, wenn wir Menschen fliegen. "Wir haben doch aber gar keine Flügel" sage ich zu ihm und er lächelt . Mein Rhetorik ist zu diesem Zeitpunkt durch den Schlafmangel schon ganz schön eingeschränkt, dennnoch reden wir weiter. Ich fange an ihn zu fragen und erfahre er ist Schriftsteller, hat soeben sein erstes Buch veröffentlicht. Einen Roman. Dank meiner eintagealten Prüfung in Literaturwissenschaft fange ich an mit ihm zu diskutieren. Über Handke, Bernhard, Christa Wolf, Sartre und Camus. Er fragt mich weiter nach anderen Büchern, die ich nicht gelesen habe. Ich fühle mich unterlegen, würde sehr gerne das Buch lesen, welches er geschrieben hat. Ich traue mich nicht danach zu fragen. Wir reden über Kinder, seine gescheiterte Ehe, Beziehungskonzepte, über die chemischen Elemente im Körper eines Menschen. Wir sehen uns plötzlich ganz tief in die Augen, unsere Schultern berühren sich auf den engen Sitzen, unsere Lippen nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Es dieser Moment, der zwischen ihm und mir entscheidet. Ich drehe mich weg, nicht er. Er schätzt mein Alter auf Anhieb richtig. Ich frage nicht ihn, wie alt er ist, sondern Google am nächsten Tag. Plötzlich scheint die Situation zwischen im Flieger eine völlig andere.
Ich kehre zu mir zurück. Schließe die Augen und nicke sofort ein. Die Landung bringt mich zum erwachen. Er reicht mir meine Sachen und drückt mir einen Flyer von seinem Buch in die Hand mit den Worten "Damit du mal wieder was richtig Gutes liest" und wir beide lachen Wir laufen zusammen in die Hallen des Flughafens und verabschieden uns mit einem Händedruck. Ich wünsche ihm eine schöne Hochzeitsfeier und danke ihm für die nette Unterhaltung. Dann läuft er den endlosen Korridor Richtung Ausgang hinunter, während ich auf mein Handgepäck warte.
Ich werde dein Buch vielleicht wirklich lesen.

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