
"Ich zünde mir eine Zigarette an, und während Karin erzählt, beobachte ich, wie ein schwarzer Windhund mit einem Halsband, auf das so winzige goldene Kühe geklebt sind, eine große Kackwurst neben einen Tisch setzt. Der Hund kackt komischerweise halb im Stehen, und ich kann genau erkennen, wie ein Viertel der Wurst an seinem Hintern kleben bleibt."
Und nach einer langen Reise quer durch Deutschland die Erkenntnis ausgerechnet in der Schweiz:
"Jetzt, wenn der Sommer kommt, würden die Bienen summen, und dann würde ich mit den Kindern Ausflüge machen bis an die Baumgrenze, durch die dunklen Wälder streifen und wir würden uns Ameisenhaufen ansehen, und ich könnte so tun, als würde ich alles wissen. Ich könnte ihnen alles erklären, und die Kinder könnten niemals fragen, ob es denn wirklich so sei, weil sonst niemand da oben wäre. Ich hätte immer recht, Alles, was ich erzählen würde, wäre wahr. Dann hätte es auch einen Sinn gehabt, sich alles zu merken.
Ich würde ihnen von Deutschland erzählen, von dem großen Land im Norden, von der großen Maschine, die sich selbst baut, da unten im Flachland. Und von den Menschen würde ich erzählen, von den Auserwählten, die im Inneren der Maschine leben, die gute Autos fahren müssen und gute Drogen nehmen und guten Alkohol trinken und gute Musik hören müssen, während um sie herum alle dasslebe tun, nur eben ein ganz klein wenig schlechter. Und daß die Auserwählten nur durch den Glauben weiterleben können, sie würden es ein bisschen besser tun, ein bisschen härter, ein bisschen stilvoller.
Von den Deutschen würde ich erzählen, von den Nationalsozialisten mit ihren sauber ausrasierten Nacken, von den Raketen-Konstrukteuren, die Füllfederhalter in der Brusttasche ihrer weißen Kittel stecken haben, fein aufgereiht. Ich würde erzählen von den Selektierern an der Rampe, von den Geschäftsleuten mit ihren schlecht sitzenden Anzügen, von den Gewerkschaftern, die immer SPD wählen, als ob wirklich etwas davon abhinge, und von den Autonomen, mit ihren Volxküchen und ihrer Abneigung gegen Trinkgeld.
Ich würde auch erzählen von den Männern, die nach Thailand fliegen, weil sie so gerne mächtig und geliebt wären, und von den Frauen, die nach Jamaica fliegen, weil sie ebenfalls mächtig und geliebt sein wollen. Von den Kellnern würde ich erzählen, von den Studenten, den Taxifahrern, den Nazis, den Rentnern, den Schwulen, den Bausparvertragsabschließern, von den Werbern, den DJs, den Ectasy-Dealern, den Obdachlosen, den Fussballspielern und den Rechtsanwälten.
Das wäre aber alles eigentlich auch etwas, dass der Vergangenheit angehören würde, dieses Erzählen da oben am Bergsee. Vielleicht bräuchte ich das alles nicht zu erzählen, weil es die große Maschine ja nicht mehr geben würde. Sie wäre unwichtig, und da ich sie nicht mehr beachte, würde es sie nicht mehr geben, und die Kinder würden nie wissen, dass es Deutschland jemals gegeben hat, und sie wären frei, auf ihre Art."
Ein besseres Buch hätte ich hier in dieser Zeit in Basel nicht lesen können. Krachts oft kargen Beschreibungen unser "deutschen" Lebenswelt treffen den Nagel stets auf den Kopf und in seltenen Momenten ist er poetisch, wie ein Handke, erkenntnisreich wie Camus. Existenzialismus im Anything Goes des heute. Merci Mr. Christian Kracht auch dafür, dass der Hund nicht auf das Grab von Thomas Mann geschissen hat. Vielleicht ist am Ende doch nicht alles verloren. ;)
liebe m. schön dass du die thomas-mann-hommage philologisch korrekt herausgearbeit hast. ingeborg bachmann war ja auch germanistin. es war sehr schön mit dir. du hast wunderbar aufgeräumt und den rekord im klopapierverbrauchen um längen gebrochen. ich hoffe du entscheidest dich eine t. emin zu werden und begibst dich in verschiedene trainingscamps des "guten lebens". the grass is always greener... aber das weißt du ja. bis bald in berlin, t.
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